Ihre Person

Sie sah ihn nicht an diesem Abend im Pony, sah nicht wie er sein Augenmerk auf ihr ließ, dort hinter den Balken versteckt, das Gesicht im Schatten der Kapuze auf seinem Kopf verborgen. Auch bemerkte sie nicht den Reiter der ihr folgte auf ihren Weg in die Siedlung, in ihr Heim, nicht einmal ihre Begleitung bemerkte jenen oder dachte sich nichts dabei. Führte doch der Weg vieler in diese Richtung der Breelande.
Leise verschloss sie die Türe hinter sich, mit einem leisen seufzen lehnte sie ihren Kopf gegen selbige. Sie konnte nun wirklich nicht sagen das es hier in den Breelanden gut für sie verlief, nein ganz und gar nicht, eher im Gegenteil.
Hatte sie doch in der Heimat einen gewissen Stellenwert genossen, vor allem in den richtigen Kreisen. Dort hatte sie niemand nach ihrer Person gefragt, dort wollte niemand sie von der Gesellschafterin trennen. Nein dort war sie ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin nach gegangen, sicher war im Laufe der Zeit das ein oder andere Herz an ihr zerbrochen, wie ihr eigenes vor so langer Zeit.

Jung und hübsch, ja das war sie wirklich, eine Augenweide in den Augen der meisten Männer, doch sie selbst, nur Augen für den einen, nur für ihn. Sie stand jeden Morgen auf mit dem Gedanken an ihn, ging zu Bette, ebenso mit den Gedanken bei ihm, wie es sich anfühlen würde ihn im Arm zu halten. Mit den Händen durch seine Haare zu streichen, sein Gesicht nah vor dem ihrigen, ein tiefer Blick in seine grauen Augen. Quälend langsam als sich beider Lippen unaufhörlich nähern bis sie schließlich aufeinander treffen um in einen sanften Spiel eins zu werden, mit einander verschmelzen.
Sie wusste sie sollte solch Gedanken nicht haben, nicht wenn er noch so weit von ihr entfernt war wie im Moment und doch kam sie nicht dagegen an.
Er war ein schmucker Bursche, Sohn einer wohlhabenden Familie, eines Tages würde er in die Fußstapfen seines Vaters treten und wie er würde er mit Stoffen, Geschmeide und allerlei Waren handeln. Vielleicht wäre sie dann die Frau an seiner Seite, zumindest wenn es ihr bis dahin gelang seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Das Problem war offensichtlich, sie war nicht nur jung und hübsch, nein sie war noch dazu schüchtern. Sehr schüchtern, zu sehr um jemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Denn wem fiel schon ein Mädchen auf das regungslos in einer Ecke stand? Wie ein Mäuschen von dem Mausloch, immer darauf bedacht schnell in selbigen zu verschwinden sobald jemand auf sie zukam.

Langsam trat sie auf den Tisch zu auf dem sich eine gefüllte Karaffe Wein befand, in einer galanten Bewegung nahm sie jene an sich und schenkte sich einen Kelch zur Hälfte voll der ebenso dort stand. Die Schüchternheit, ja jene hatte sie überwunden, keine Spur war noch davon zu sehen. Mit gestraffter und selbstsicherer Haltung ging sie in das Zimmer nebenan. Das Zimmer in welches sie sich zur Ruhe zurückzog, sei es zum nachdenken, zum lesen oder gar um etwas nieder zu schreiben. Dieses Mal hatte sie es zum nachdenken betreten und so nahm sie Platz auf der kleinen roten Liege. Ihre Bewegungen dabei galant wie eh und je, sachte striff sie den Stoff ihres Kleides zurecht, wenngleich es auch niemand sehen konnte.

Sie war immer noch jung, vielleicht hübscher geworden, weiblicher. Die Rundungen an ihrem zierlichen Körper waren intensiver geworden. Auch war sie nicht mehr so schüchtern was zweifelsohne einer guten Freundin zu verdanken war. Jene zeigte sich durchaus in der Lage das Mäuschen aus ihrem Loch hervor zu holen, ihr genug Selbstvertrauen aufzuzeigen um sich langsam vorwärts zu wagen, an das Objekt der Begierde. Nur das es in diesem Fall kein Stück Käse war, welches in den Fängen einer Falle lauerte nur um diese zuschnappen zu lassen sollte man danach greifen.
Nein, es war immer noch er der in ihren Gedanken war, dem all ihr Begehr galt. Nach dem sich jede Faser ihres Körpers sehnte. Ihre Vorstellungen wandelten sich ebenso und so neigten ihre Gedanken nicht mehr nur dazu wie es wäre würden sie sich küssen, nein sie gingen weiter, weiter über ihrer beide Haut, ein Spiel der Sinne und der Lust das sich in ihren Gedanken abspielte das es ihr das ein oder andere Mal die Schamesröte in ihr Gesicht trieb.
Inzwischen nahm er auch Notiz von ihr, er sprach mit ihr, wenn es auch zumeist nur kurze Gespräch waren. Doch immerhin, er hatte sie entdeckt.

Sie nahm einen Schluck aus ihrem Kelch, einen richtigen, nicht nur einen kleinen der eher einem benetzen der Lippen gleich kam denn einem trinken. Langsam ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und manifestierte ihn schließlich auf dem Bild welches an der Wand hing. “Ihr als Person, ihr als Person” hallte es durch ihren Kopf immer und immer wieder. Warum nur vermochte niemand zu verstehen das es diese Person nicht mehr gab? Das sie alles sein wollte, nur nicht mehr jene Person? Ein Abend mit ihr privat, ohne den Aspekt einer Gesellschafterin, warum nur? Sollte dies heißen sie war nicht gut in dem was sie tat? Sachte schüttelte sie den Kopf, das konnte nicht sein, denn sie genoss ihr Tun wirklich. Sie erfreute sich an dem Lächeln ihres Gegenübers, an den Reaktionen, an den Worten die in Wohltat gesprochen wurden. Sie als Person, sie als die Person welche eine Gesellschafterin war.

Die Gespräche mit ihm vermehrten sich ständig, auch wurde sie immer sicherer darin. Und sie träumte, ja sie träumte wie eine junge Frau dies eben tat wenn ihr Herz unweigerlich vergeben war. In bunten Farben malte sie sich aus wie es wäre ihn zu ehelichen, vor ihrem inneren Auge spielte sich die Zeremonie ab, immer und immer wieder. Sie sah bereits die vielen Kinder die ihrem Schoße entspringen würden, ein Geschenk an ihn ob ihrer immer währenden Liebe. Die Blume die er ihr pflückte und in ihr Haar steckte eines Nachmittages, lag getrocknet auf ihrem Nachttisch, versehen mit einem Hauch von Duftwasser so das sie roch wie eine eben erst gepflückte.

Sie führte den Kelch langsam an ihre Lippen um ihn zu leeren. Galant erhob sie sich und wieder legte sich ihre Hand an den Stoff ihres Kleides um jenen zu glätten. Stets darauf bedacht gut auszusehen war ihr dies so in Fleisch und Blut übergegangen das sie es wohl nie ablegen konnte. Nicht einmal hier in ihrem Haus, in dem sie ganz alleine war.
So ging sie wieder nach draußen zu dem Tisch auf dem noch immer die Karaffe stand, in ihm ein roter Wein, lieblich, der nur darauf wartete getrunken zu werden. Die Sinne zu benebeln, vergessen zu lassen. Einen ruhigen Schlaf zu finden. Sie blinzelte kurz und betrachtete die Karaffe, stand jene nicht eben noch auf der anderen Seite des Tisches? Sachte schüttele sie ihren Kopf und bedächtig goss sie die rote Flüssigkeit in ihren Kelch, dieses Mal füllte sie ihn gänzlich.
Ebenso wie zuvor machte sie sich wieder auf den Weg in ihr Zimmer, graziler Gang mit erhobenen Haupt, sachte ihre Bewegung als sie sich nieder ließ und wie von selbst fand ihre Hand wieder den Weg an den edlen Stoff der ihren Körper verhüllte.

Er hatte sie tatsächlich geküsst, doch war es kein sonniger Nachmittag gewesen, auch war es sonst nicht wie in ihren Träumen verlaufen. Seine Lippen waren rau gewesen, rau und gierig, auch schien die Sonne nicht und verbreitete ihre Wärme, die Vögel sangen kein Lied. Nein, der Himmel hatte sich über ihnen erbrochen als würde er all das Wasser eines ganzen Jahres mit einen Mal Vergießen. Dennoch ein Kuss, es fing immer mit einem Kuss an in all den Erzählungen und Geschichten, ein Kuss war der Anfang und darauf würden weitere folgen.
Also beschloss sie glücklich zu sein, um nichts in der Welt würde sie die Enttäuschung weiter zulassen die sie im ersten Moment verspürte, sie verdrängte jene in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins auf das sie ewig dort verschlossen war und die Vorfreude auf weiteres die Oberhand gewann.
Mit dieser Vorfreude im Herzen ging sie zwei Tage später zu ihm, sie wollte ihn überraschen und so konnte sie nur hoffen das er auch zu Hause war. Ihre Hand zitterte leicht als sie gegen die schwere Holztür klopfte und ihr Herz schlug so schnell in ihrer Brust das sie Angst hatte es würde jeden Moment platzen. Doch wurde die Tür nicht geöffnet, aber doch hörte sie Geräusche. Zu groß war ihre Neugier als das sie einfach wieder gehen konnte, außerdem konnte es sein das er ihr klopfen lediglich nicht hörte und so schlich sie um das Haus herum zu einem der Fenster. Sie lehnte ihre Hände gegen das Fenster auf das sie das Tageslicht damit verdrängte um besser sehen zu können und drückte ihre Nase gegen die Scheibe.

Sie trank einen weiteren Schluck Wein, zu viel für sie, zu viel für diesen Abend, war sie es doch nicht gewohnt so viel davon zu trinken, vor allem nicht so schnell wie sie es heute tat. Doch die gegebenen Umstände drängten sie dazu, zwängten ihr den süßen Rebensaft nahezu über ihre Lippen ihre Kehle hinab. Ihr Leben war so gut gewesen, so perfekt, sie war so perfekt gewesen, in der Heimat. Bis eine Begegnung sie zwang von dort fort zu gehen, weit fort. An einem Ort an den niemand sie vermuten würde, niemand sie je finden würde. Eine, kleine unscheinbare Stadt fernab der Heimat. Alles nur wegen einen Mann, wegen seiner unerwiderten Liebe zu ihr, doch genoss ausgerechnet dieser Mann ein gutes Ansehen nach außen hin. Zu vielen war er in der Lage gewesen, ihren Ruf zu zerstören, all jenes was sie sich über die Jahre erarbeitet hatte wurde binnen weniger Wochen zunichte gemacht, zerquetscht wie ein Insekt in den Händen eines Kriegers, ohne Gegenwehr und endgültig.
Aber nein, das war ihm nicht genug gewesen, er gönnte ihr keine Ruhe, ließ ihr auflauern, schrieb ihr Briefe. Bis zu jenem Tage an dem sie die Heimat verließ um hier zu stranden und nun war es an ihr das beste daraus zu machen.
“Ihr als Person” hallte es wieder durch ihren Kopf, als wollten ihre eigenen Gedanken sie verhöhnen.

Was sie verschwommen durch die Scheibe sah ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren und brachte ihr Herz binnen Sekunden zum zerspringen. Sie sah ihn, gänzlich entblößt, doch war dies nicht was den Ausschlag gab, hatte sie ihn schon oft genug so gesehen, in ihrem Träumen ob nun des Tages oder des Nachts, nein es war vielmehr die nackte Schönheit die sich an seinen Körper räkelte als die beiden sich vereinten. Die Träume die sie seit langer Zeit hegte und pflegte wie einen geheimen Schatz zerplatzen mit einen Male und obgleich die Sonne an jenem Tag schien kam es ihr vor als würde der Himmel sich über ihr ergießen.

Mit einem leisen Seufzen leerte sie nun auch ihren zweiten Kelch, einen ganzen Moment hielt sie ihr Augenmerk darauf, auf den letzten Rest der roten Flüssigkeit darin in dem sich ihr Blick verlor. Sie blinzelte und langsam ließ sie sich nach hinten auf die Liege sinken und bettete ihren Kopf darauf, sie schloss ihre Augen und ihre Hand mit dem Kelch darin glitt zur Seite und die Finger die darum geschlungen waren öffneten sich. Mit lautem Klirren fiel er zu Boden.



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